50 Jahre Marxzell
50 Jahre – das sind etwa drei Generationen und es scheint in Marxzell zu sein, wie in vielen Familienunternehmen.
- Die erste Generation an Bürgermeister und Gemeinderäte, noch beseelt von der Grundidee etwas Gemeinsames
von Wert und Dauer zu schaffen, baut die Firma „Marxzell“ auf.
- Die zweite Generation sieht zu, dass die Firma „Marxzell“ in Schwung bleibt und im Geiste der Gründer fortgeführt wird.
- Die dritte Generation wirtschaftet sie dann häufig zu Grunde.
Es kommt der Punkt, wo die, die dann das Sagen in der Firma haben, ja schließlich auch einmal etwas für sich haben möchten.
Für ihre Familien und nicht nur immer alles in das gemeinsame Projekt stecken. Und so beginnt man das, was die Eltern und Großeltern aufgebaut haben, langsam zu verzehren.
- „Es lief ja alles so gut“
- „Die paar Euros machen ja nichts“
- „Es gab schon immer einmal schlechte Zeiten“
- „Wir machen das jetzt erst einmal so und später sehen wir weiter.“
Und so entstehen Maibaumständer für 11.000 €, Geo-Touren für 15.000 €, Zuschuss für ein eigenes Haus der Narrenzunft 9.000 €, geteerte Feldwege oder eine völlig unnötige, aber kostenintensive Friedhofserweiterung.
Schließlich kommt die vierte Generation. Ihr bleiben nur noch zwei Möglichkeiten:
Den Betrieb „Marxzell“ aufgeben. Ihn wieder in drei oder vier Teilfirmen aufzuteilen; jede mit eigenem Bürgermeister, jede mit eigenem Gemeinderat. Ich weiß, dass das für manche im Rat sogar die Erfüllung eines Traums wäre, auch wenn völlig unklar wäre, wie das finanziert werden könnte.
Oder sie haben die Möglichkeit das Erbe anzutreten und sich einzugestehen, dass in der Vergangenheit weder vorausschauend, noch verantwortungsvoll oder nachhaltig gewirtschaftet wurde. Und so stehen wir heute in der Situation, dass wir einen Haushalt vorliegen haben, dessen, überspitzt gesagt, größte Luxusausgabe ein Fenster in einer Bauwagentüre für 500 € ist.
Alles andere sind nur laufende Kosten. Kein Schnick-Schnack, kein Chichi, keine Goldkante.
Und trotzdem schaffen wir es erneut, nicht einmal diese laufenden Kosten aus eigener Kraft zu finanzieren.
Marxzell hat dieses Jahr eine Deckungslücke von über 600.000 €. Man fragt sich schon, wo denn das ganze Geld hinfließt?
Nur laufende Kosten. Kein Schnick-Schnack, kein Chichi, keine Goldkante.
Diese 600.000 € Defizit bekommen wir nicht von der Finanzaufsicht genehmigt. Wir können nur die Kurve kratzen, wenn wir Marxzeller Substanz verkaufen. Die einen nennen es Tafelsilber, die anderen sprechen schon von Goldreserven.
Konkret steht diesmal der alte Kindergarten und das Schwesternhaus in Pfaffenrot auf der Liste.
Dieser Schuss könnte aber schnell nach hinten losgehen. Sind der alte Kindergarten und das Schwesternhaus doch eine zentrale Komponente in einem der denkbaren Wege für die Schulen und Kindergärten von Marxzell.
Aber völlig gleichgültig welche Immobilie wir dieses Jahr in die Hand nehmen müssen; völlig gleichgültig was für Tafelsilber oder Goldreserven wir verkaufen: Sie werden danach weg sein.
Verkauft für laufende Kosten.
In sieben Monaten schon klopft das neue Jahr an die Türen von Marxzell und wird sagen: „Hallo Leute. Ich habe laufende Kosten, die beglichen werden müssen.“ Und wir werden erkennen, dass wir mit unseren Einnahmen auch wieder eine massive Deckungslücke haben werden.
Was verkaufen wir dann? Die Klosterruine Frauenalb? Ein ganzes Wohngebiet?
Ach ja, wir entwickeln ja gerade drei neue 13b-Wohngebiete. Nicht, dass wir schon vorher Baugebiete gehabt hätten, aber, wie mir mittlerweile immer wieder versichert wurde, die 13b-Baugebiete lassen sich viel schneller entwickeln.
Eigentlich nur deswegen, weil man es die Jahre vorher versäumt hat, die anderen Baugebiete zu entwickeln. Aber die 13b-Baugebiete lassen sich jetzt schnell entwickeln, und wenn wir diese schnell entwickelt haben, dann haben wir über den Länderfinanzausgleich wirklich wieder Geld zur Verfügung.
Wenn uns jetzt kein Lurch, keine Echse und kein rotschwänziger Milan einen Strich durch die Rechnung macht oder niemandem beim Nachbarschaftsverband sich über die 15-prozentige Unterschreitung der empfohlenen Einwohnerdichte im Baugebiet Ammenäcker wundert.
Wenn, ja wenn, dann werden wir dadurch einen Zuwachs von ca. 570 Bürgern haben.
Pro Bürger erhalten wir über den Landesfinanzausgleich 1.500 € pro Jahr. Das bedeutet, wir erhalten nur durch den Zuzug pro Jahr 855.000 € mehr. Das dauert leider noch 5 – 10 Jahre. Ist aber eine tolle Perspektive.
Zugegeben, wir müssen auch investieren. Wir müssen in die Kindergärten investieren, wir müssen in die Schulen investieren, wir müssen in unsere Infrastruktur investieren, denn in 5 – 10 Jahren werden unsere Straße auch nicht mehr so gut sein wie heute.
Es kommen Ausgaben in Millionenhöhe auf Marxzell zu. Unsere Kindergärten können leider keine 5 – 10 Jahre mehr warten.
Und Tafelsilber können wir zukünftig auch nicht mehr verkaufen, weil wir langsam keines mehr haben.
Wir sind an einem Punkt, an dem mittlerweile jeder hier im Saal verstanden haben muss, dass es so nicht weitergeht.
Es ist überfällig, dass wir uns zusammensetzen und jeden einzelnen Punkt der Gemeinde auf den Prüfstand stellen; ergebnisoffen. Vielleicht sollten wir tatsächlich einmal anfangen mehr wie ein Unternehmen zu denken.
- Brauchen wir drei Schulen oder wollen wir sie nur?
- Brauchen wir drei Kindergärten oder wollen wir sie nur?
- Brauchen wir drei Feuerwehren?
- Brauchen wir drei Rathäuser; von denen zwei sowieso nur 50% besetzt sind?
- Brauchen wir vier Hallen?
- Brauchen wir von der Gemeinde zur Verfügung gestellte Lagerräume für Vereine?
- Brauchen wir eine Verwaltung in der Größe, wie wir sie jetzt haben?
- Brauchen wir die Ortschaftsräte? Alleine die Ortschaftsräte kosten uns pro Jahr fast 100.000 €.
In nur einer Legislaturperiode hätten wir damit die 500.000 € erwirtschaftet,
die wir jetzt durch den Verkauf von Tafelsilber aufbringen müssen.
Üblicherweise dient die Haushaltsrede dazu, dass jede Fraktion und die Verwaltung ein Resümee des letzten Jahres zieht und sich dabei ein bisschen auf die Schultern klopft.
„Es war ein schwieriges Jahr. Aber wir haben es geschafft und durch unseren Einsatz auch noch dieses und jenes umsetzen können.“
Und dann wagt man den Ausblick in das nächste Jahr: „Ja, auch das wird ein schwieriges Jahr werden und ja, Marxzell hat auch dieses Jahr Finanzprobleme, aber wir müssen und werden uns auch um die Vereine kümmern. Wir müssen unseren Bürgern in allen Ortsteilen alles bieten. … Wir von der Fraktion X, wir machen das und werden uns darum kümmern.
Leider müssen wir dafür jetzt etwas Tafelsilber verkaufen, aber ist nicht so schlimm. Wir kümmern uns erst einmal um die aktuellen Angelegenheiten und später sehen wir weiter.“
Als ich mich hinsetzte und begann diese Rede zu schreiben, habe ich auch so angefangen.
Was hat Marxzellplus letztes Jahr angestoßen? Was haben wir in Bewegung gebracht, was haben wir unterstützt und wofür stehen wir im nächsten Jahr? Ich musste bald erkennen, dass das alles nur Schall und Rauch ist. Das sind Zeilen, die für die Presse geschrieben werden. Tatsächlich ist es so, dass es immer schwieriger wird, Marxzell ein weiteres Jahr am Laufen zu halten. Wir haben vielleicht noch ein oder zwei Gebäude, die wir verkaufen können.
Aber was machen wir denn? Verkaufen wir das Rathaus in Pfaffenrot und die Bürgermeisterin bekommt ein Zelt in den Farben Marxzells auf dem neuen Parkplatz? Strom gibt’s von der E-Ladesäule…
Als wir unser Amt antraten haben wir alle hier im Rat geschworen Schaden von der Gemeinde Marxzell abzuwenden. Lange Zeit wurde das zugunsten von Eigeninteressen nicht getan.
Ich sehe, dass das Verhalten der letzten Jahre und Jahrzehnten die Gemeinde gegen die Wand fährt und ich bete, dass wir endlich aufwachen. Heute Abend müssen wir eine Lösung für diesen Haushaltsplan finden. Ohne Verkauf von Tafelsilber wird es nicht gehen.
Aber morgen Früh, und nicht irgendwann, morgen Früh müssen wir in die Hände spucken, uns zusammensetzen und dafür sorgen, dass wir aus dieser Spirale ausbrechen und die Struktur der Gemeinde auf neue, zukunftsträchtige Füße stellen.
Wir werden schwere Entscheidungen treffen müssen und ja, wir werden uns damit unbeliebt machen!
Bei den Bürgern, bei den Vereinen, bei den Eltern …
Dieser Haushalt zeigt uns in schonungsloser Brutalität, dass wir nicht mehr viel Zeit haben, uns darum zu kümmern, dass die fünfte Generation, die die Firma „Marxzell“ einst übernehmen wird, noch etwas zum Übernehmen hat.